Serien Review zu “Beef"
Poster ©Akiko Stehrenberger
Spoiler Alert: wenn du es nicht magst, gespoilert zu werden, dann bitte nicht weiterlesen. Ich werde hier nicht die komplette Serie zusammenfassen und erläutere einzelne Szenen, die ich stilistisch schön finde und gehe auf asiatische Kulturelemente ein.
An immigrant storyline
Natürlich hat mich die Serie sofort gecatcht, als ich gesehen habe, dass Ali Wong (bekannt aus ihren Netflix Specials "Baby Cobra" und "Hard Knock Wife") sowie Steven Yeun (bekannt aus "The Walking Dead" und "Minari") mitspielen. Obwohl die Serie eine amerikanische Produktion ist und die Handlung sich in Los Angeles abspielt, finde ich, dass es den Regisseuren und Produzenten gelungen ist, eigene und besonders künstlerische Akzente zu setzen, die nicht typisch für Hollywood sind. Dies zeigt sich insbesondere durch die asiatische Besetzung (sowohl vor als auch hinter der Kamera), die Leistung der Schauspieler und vor allem in der Story, die einen differenzierten und einfühlsamen Blick auf asiatisch-amerikanische Migranten wirft und kulturelle Elemente sowie ernstere Themen auf eine einzigartige Art und Weise behandelt.
Ich vergleiche die Serie gerne mit einer Zwiebel: mit jeder Folge wird eine Schicht abgeschält und ganz am Ende.. hatte ich tatsächlich Pipi in den Augen. Mich hat lange nicht mehr eine Serie von der Kameraführung, Skript und Spannung gefesselt. Für mich zeichnet sich der Höhepunkt der Serie ab Folge 8, als wir endlich einen Einblick in die verstörende und gleichzeitig auch belastende Vergangenheit beider Charaktere bekommen und einem klar wird, dass was wir als Kinder erleben, uns oft ein Leben lang prägt.
Rache und Wut
“Beef” fängt harmlos in einer Parklücke an, in der zwei Fremde - nämlich Amy und Danny in einem eskalativen Streit geraten. Mit jeder Folge wird einem als Zuschauer klar, dass so unterschiedlich Dannys und Amys Background auch sind, sie sich doch irgendwie ähneln und sich gefunden haben, um ihre Unzufriedenheit auszuleben und ein Ziel zu verfolgen, um sich besser zu fühlen: Rache.
Beide kanalisieren ihre Wut in rachsüchtigen Handlungen, projizieren ihre Frustration aufeinander und scheinen in einer Art Trance zu verfallen, sobald sie sich rächen. Spannend zu sehen, wie die Auseinandersetzung mit Wut eine tiefgreifende Resonanz auf persönlicher und kultureller Ebene hat und beide Charaktere damit umgehen: Danny unterdrückt seine Gefühle, nur um dann so überfüllt zu sein, dass er sofort vor Wut explodiert und dumme Sachen macht ohne darüber nachzudenken. Während Amy ihre Wut (vor allem in der Ehe) mit einem unterdrückten Lächeln und gespitzten Lippen vortäuscht. Bei Amy wird vor allem die tickende Uhr als Stilmittel verwendet, um ihre unterdrückte Wut zu betonen.
Mir schien es die ganze Zeit so, als ob sie in diesen Momenten der Rache alle möglichen Konsequenzen und Risiken auszublenden und sich voll und ganz der Lust des Augenblicks hinzugeben. Man hat quasi das Gefühl, dass Danny und Amy geradezu verrückt und besessen von der Rache sind und eine seltsame Freude daran finden.
Warum ist man bereit so viel zu zerstören?
Erst im Staffelfinale erkennen wir, dass hinter ihren Racheaktionen und Wutanfällen Themen wie Depression, Generationskonflikte und Traumata berührt werden.
Durch kurze Flashbacks lernen wir die Geschichte und Vergangenheit von Dannys und Amys Eltern kennen. Dabei wird deutlich, dass ihre Generationskonflikte und Mental Health Issues sich auf historische Ereignisse wie Krieg, Kolonisation, Zwangsmigration und Diskriminierung zurückzuführen sind. In einer Therapiesitzung erwähnt Amy den Vietnamkrieg, den ihre Eltern miterlebt haben (Zitat Amy: My mother told she never saw birds until she came to America because people had to eat them during the Vietnam war.). Wir erfahren außerdem, wie Amy bereits in ihrer Kindheit und Jugend lernt, wie wichtig Geld sei, dass Amy aufgrund der finanziellen Situation eine Last für ihre Eltern ist und dass über Familienprobleme nicht gesprochen wird. Solche Erlebnisse hinterlassen Spuren, die zwangsläufig sich über Generationen hinweg weitergeben.
Dannys Eltern wiederum kommen aus Südkorea nach Amerika und versuchen sich ein Business aufzubauen. Ein Blick in Dannys Kindheit zeigt, dass er schon früh in der Grundschule mit Mobbing konfrontiert wird, er der ältere Bruder ist und sich um seinen kleinen Bruder kümmern muss und sich somit emotional von seinem kleinen Bruder macht. Danny versucht seinen Wert seinen Eltern und Bruder zu bewiesen und seine Schulden gegenüber seinen Eltern abzubezahlen, die nach dem Scheitern ihres Businesses wieder nach Südkorea zurückgekehrt sind.
Die vielen kulturellen und gesellschaftlichen Belastungen und Druckfaktoren, die Amy und Danny in der Serie BEEF im Leben mitschleppen, führen letztendlich zu Isolation, Entfremdung und schließlich zu Depressionen und Selbstzerstörung. Sowohl Amy als auch Danny tragen eine Wut und Frustration in sich, die sie im Alltag immer wieder unterdrücken, um in der Gesellschaft, in der Familie und in der Nachbarschaft gerecht zu werden.
Danny: die Rolle als erstgeborener Sohn
Als erstgeborener Sohn in einer koreanischen Familie spürt Danny den Druck der Erwartungen seiner Eltern, die koreanische Kultur und Tradition aufrechtzuerhalten und weiterzuführen. Er möchte ein Vorbild für seinen jüngeren Bruder sein und sucht stets nach Anerkennung von seinen Eltern. Trotzdem bleibt er als freiberuflicher Handwerker erfolglos und gerät in einen Strudel aus Schulden und Katastrophen. Das Thema des erstgeborenen Sohnes zeigt sich auch stark in der vietnamesischen Kultur. Es gibt sogar spezielle Begriffe dafür: "Con trai trưởng" für den erstgeborenen Sohn und "cháu đích tôn" für den Enkel des erstgeborenen Sohnes.
Als erstgeborener Sohn in Vietnam hat man den höchsten Stellenwert. Das bedeutet, man trägt die Verantwortung über alle Entscheidungen hinweg, die sich auf die Familie auswirken: sei es der Beruf, große Entscheidungen wie z.B. ein Immobilienkauf, das Erbe und die Aufteilung innerhalb der Familie, selbst bei Beerdigungen spielt der Sohn / Enkel die wichtigste Rolle, wenn es darum geht die letzte Ehre zu erweisen. Bei Familiensitzungen hat der erstgeborene Sohn immer das letzte Wort und vor allem, muss der erstgeborene Sohn sich um die Eltern kümmern und sie versorgen.
Es hat mich selbst eine Zeit lang gebraucht, um zu verstehen woher das alles kommt und warum ich in meinen jungen Jahren so viele Konflikte zwischen meiner Herkunft und mit mir selbst hatte. Heute verstehe ich, dass im Gegensatz zur westlichen Welt, in der das Individuum im Mittelpunkt steht, in Ostasien ein kollektives Denken herrscht. Das “wir” wird anstelle des “ich” betont. Das Handeln und Denken eines Kindes repräsentiert die Eltern und die Familie. Man trägt als Kind die Verantwortung für ihr Glück, ihren Erfolg und den Eindruck, den die Familie nach außen hin macht. Diese Denkweise hat ihre Wurzeln im Konfuzianismus und der chinesischen Kultur, mit Werten wie Ahnenverehrung und Respekt gegenüber Älteren.
Aus diesen Gründe lernt Danny früh was es heißt “sein Gesicht zu bewahren” und geht mit Scham ganz anders um (in dem er alles runterspielt und zeigt, dass er alles im Griff hat). Er kann sich, seinen Eltern und vor allem seinem Bruder aus Angst vor Scham nicht eingestehen, dass er erfolglos ist und kurz vor dem Scheitern ist. Der Druck, seine Eltern aus Südkorea zurückzuholen, lastet schwer auf ihm, und er verspricht ihnen das Blaue vom Himmel: ein Haus, Reichtum und Wohlstand.
Amy: die Rolle als Ehefrau und Tochter
Amy hingegen, ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die von außen wie eine Bilderbuchmigrantin aussieht. Als aufstiegsorientierte Tochter einer vietnamesisch-chinesischen Einwandererfamilie hat sie aus eigener Kraft einen Pflanzenboutiqe “Koyo House” aufgebaut, das sie an eine Milliardärin verkaufen möchte. In der Ehe hat definitiv Amy die Hosen an. Ich bin mir nicht sicher, ob Amy sich bewusst ihren Ehemann George ausgewählt hat, weil er Japaner ist und er sozial gesehen über ihr steht (nur meine Theorie), doch mit jeder Folge wird einem klar, dass Amy sich in der Ehe nicht wohl fühlt und das Gefühl hat, als würde sie 100 Masken tragen, um ihr wahres Gesicht vor ihrem Mann zu wahren. Und das alles nur aus Angst, nicht akzeptiert und geliebt zu werden. Es gibt mehrere Momente, in der Amy versucht, sich ihrem Mann zu öffnen und ihre Gefühle mit ihm teilt, doch es kommt leider nie dazu, dass sie von ihm verstanden wird. Alles was George ihr mitteilt, sobald sie emotional wird, ist, dass sie ihre Gefühle und Aggressionen mit zenbuddhistischer Souverinität unterdrücken sollte.
Dass Amy eine Portion Unsicherheit trägt, erfahren wir erst, als wir Einblicke auf ihre Vergangenheit als Kind bekommen und sehen, wie sie mit der Idee aufgewachsen ist, wie wichtig Geld sei. Sie kriegt als Kind das Gefühl, dass sie eine Last für die Eltern ist, weil es ihnen an finanzielle Mittel fehlt und das oft ein Streitthema ist. Themen wie Eifersucht, Seitensprünge oder finanzielle Schwierigkeiten werden in der Familie nicht direkt angesprochen, weil man die Harmonie der Familie halten und das Gesicht bewahren möchte.
Obwohl man als Zuschauer nicht viel von Amys Mutter sieht, verkörpert sie die traditionelle Rolle einer Frau in Asien, insbesondere in der Familie. Während der Ehemann die Verantwortung über die finanzielle Stabilität in der Familie zu sorgen hat, liegt die Verantwortung bei der Mutter und Ehefrau, sich um die Harmonie in der Familie und das Familienbild zu kümmern. Es mag seltsam klingen, aber viele asiatische Frauen sind durch ihre Erziehung dazu konditioniert, Eigenschaften wie Gehorsam, Unterwürfigkeit, Fürsorglichkeit sowie stets ein lächelndes und freundliches Auftreten zu verkörpern.
Warum ist das so? Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt, ist der immense Druck, der aus der kollektivistischen Denkweise in asiatischen Ländern resultiert. Das öffentliche Auftreten und der Umgang mit anderen wird als Spiegelbild der eigenen Familie, Kultur und des Volkes betrachtet. Dies zeigt sich besonders in der Szene, in der Amy ihrer Mutter erzählen möchte, dass sie als Jugendliche ihren Vater mit einer anderen Frau gesehen hat. Bevor Amy den Satz beenden kann, wird ihr bereits klar, dass ihre Mutter von allem schon weiß und dass solche Themen in der Familie keinen Platz haben.
Staffelfinale: Figures of Lights / Lichtgestalten
Abgesehen davon, dass ich eine Kotzphobie habe und es hasse, wenn andere Leute kotzen (ja, auch im TV), könnte ich mir die letzte Folge immer wieder anschauen…Auch hier wieder wunderschöne Storyline und super gespielt von Ali Wong und Steven Yeun.
Erst als Amy und Danny die psychedelischen Beeren essen, total high sind, ist es so, als würden sie ihr Leben nochmal Revue passieren lassen und sich - im wahrsten Sinne des Wortes - auskotzen und sich von ihren Ängsten befreien. Ihnen wird klar, dass sie die ganze Zeit ihr Schamgefühl aufeinander projiziert haben und im Laufe des Abends / der Nacht endlich loslassen und sich akzeptieren, weil beide denken, dass sie bald sterben, erfahren sie da zum ersten Mal pure Liebe.
Danny: That’s why I don’t believe in God […] Why would God make it like this?
Amy: Well, if God is everything, then we’re god. That means god is just like us. Maybe that’s why everything is the way it is.
Danny: God is just trying not to feel alone in nothingness.
Amy: I’ve never talked to anybody like this before.
Danny: Me neither.
Die Szenen und die Gespräche haben mich so berührt, da Amy und Danny metaphorisch gesehen eine Art "Ego-Tod" durchleben. Sie beginnen, sich gegenseitig wirklich wahrzunehmen und gestehen endlich ihre Scham, Angst vor Einsamkeit und den Wunsch nach Liebe ein. Emotional hat mich das tief berührt, weil sie sich endlich erlauben, einander so zu sehen, wie sie wirklich sind. Beide erkennen und akzeptieren ihre Ängste und Gefühle, die sie ihr ganzes Leben lang versteckt und sogar verachtet haben.
Danny: I see your life. You poor thing. All you wanted was not to be alone.
Amy: You don’t have to be ashamed. It’s okay. I see it all. You don’t have to hide. It’s okay.
Danny: Wow. There’s really nothing after this.
Amy: We should have done this more often.
Danny: What a waste.
Amy: At least we did it once.
Die Darstellung der Transformation von Amy und Danny in der Serie hätte visuell nicht besser umgesetzt werden können als mit den psychedelischen Elementen und der Bewusstseinserweiterung. Man erlebt förmlich, wie Amy und Danny ihre Identitäten aufbrechen und sogar mitten in der Handlung ihre Identitäten tauschen und irgendwann eins werden. Ihre ehrliche Verletzlichkeit repräsentiert nicht nur ihr persönliches Wachstum, sondern auch eine Art Wiedergeburt ihrer Charaktere, die letztendlich zu einer tieferen Verbundenheit führt. Durch diesen Prozess nähern sich beide einander an und entwickeln Sympathie, Freundschaft und sogar Liebe zu einander.
Über die allerletzte Szene im Krankenhaus muss ich glaub ich nicht viel sagen, außer dass ich das Ende sehr gut fand. Amys Gesichtsausdruck, ihr Schmerz sagt schon mehr aus als alles andere. Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Minuten der Serie keine Kommunikation, wie Monologe oder Dialoge stattfinden, Zeit und Raum werden mit Timelapses, Musik, Licht und Ali Wongs wunderbarer Mimik schön dargestellt und das offene Ende finde ich persönlich super gemacht.
Bei mir hat die Serie eine Vielzahl von Emotionen und “what-the-fuck” Momente hervorgerufen - von Spannung, Unbehagen bis hin zur Aufregung und Hoffnung. Man findet sich ja in jedem Film oder Serie wieder, weil es um Emotionen und Gefühle geht. Bei Beef war es bei mir genauso. In den vereinzelten Szenen und Geschichten der Charaktere, spiegelt die Serie auch irgendwo die Realität der asiatischen Diaspora wider.